Anfang März gab‘s ein großes Brummen in Brandenburg. Es tut sich was in Sachen Insektenschutz und Artenvielfalt auf den Äckern und auf dem Grünland Brandenburgs. Das ist Ergebnis von Verhandlungen zwischen Vertreter*innen zweier Volksinitiativen: „Artenvielfalt retten – Zukunft sichern!“ und „Mehr als nur ein Summen“. Wie es dazu kam und was am Ende raus kam, erfahren wir von Johann Lütke Schwienhorst. Er war bei den Verhandlungen dabei. Dieses Interview erschein auch auf dem Blog ackerdemier.in.
Lieber Johann, schön, dass Du Dir für ein Interview Zeit nimmst. Als Einstieg die Frage: Was verbindet Dich mit dem Fachbereich „Landschaftsnutzung und Naturschutz“?
Erst vor zwei Jahren habe ich hier meinen Master Öko-Agrarmanagement abgeschlossen. Dem Fachbereich, sowie der Hochschule insgesamt verdanke ich also eine super Studienzeit, ein hervorragendes Netzwerk und unter anderem meinen jetzigen Job bei der Aurelia Stiftung, in den ich über das Praxissemester einstieg.
Du hast Dich schon während des ÖAM-Studiums mit Bienen beschäftigt. Da war es doch bestimmt schnell klar, dass Du Dich bei der Volksinitiative zum Artenschutz engagierst. Und dann kam noch eine Volksinitiative dazu. Kannst Du kurz umreißen, worum es ging und warum es zum Dialogverfahren kam?
In der Tat habe ich auch schon während des Studiums selbst Honigbienen gehalten. Aber nur nebensächlich aus imkerlicher Perspektive bestand und besteht akuter politischer Handlungsbedarf in Sachen Insektenschutz und Biodiversität. Die Brandenburger Naturschutzverbände gaben zu Jahresbeginn 2019 den Impuls für eine „Volksinitiative Artenvielfalt“. Mit Rückenwind aus dem bayrischen Volksbegehren „Rettet die Bienen“ starteten wir dann im Bündnis aus Organisationen und Verbänden u.a. des Naturschutzes, der ökologischen Landwirtschaft, der Imkerei etc. die Volksinitiative „Artenvielfalt retten“. Unsere Kernforderungen waren einerseits im Bereich der Agrarförderung endlich die Möglichkeiten zur Ökologisierung zu nutzen und andererseits im ordnungsrechtlichen Bereich ein Pestizid- und Mineraldüngerverbot in Naturschutz- und FFH-Gebieten, sowie auf Gewässerrandstreifen umzusetzen. Die Einschränkungen sollten nicht zum wirtschaftlichen Nachteil der Betroffenen, also finanziell kompensiert werden. Als durchsickerte, dass wir eine Volksinitiative vorbereiteten, haben die konventionellen Landnutzerverbände um den Bauernverband auch eine Volksinitiative gestartet. Wir begrüßten das Bekenntnis dieser Initiative „Mehr als nur ein Summen“ zum Insektenschutz, hielten aber den Weg für zu unverbindlich. Eine Verständigung zwischen den Initiativen war zunächst nicht möglich. Nachdem in Summe für beide Initiativen etwa 100.000 Menschen für mehr Artenvielfalt in Brandenburg ihre Stimme abgaben, haben wir uns mit beiden Initiativen und dem Landtag auf einen moderierten Dialogprozess verständigt, dessen Ergebnisse wir am 10. März präsentieren konnten.
Mit Blick auf die Ergebnisse, die am 10. März übergeben wurden, was sind aus Deiner Sicht die Erfolge – für den Naturschutz und für die Landwirtschaft?
Wir sind das erste Bundesland in dem ein echtes Pestizidverbot in Naturschutz- und FFH-Gebieten kommt. In Naturschutzgebieten soll dies ab 2023 und in FFH-Gebieten ab 2028 gelten. Naturschutz- und FFH-Gebiete zusammen machen hier immerhin ca. 360.000 ha aus. Ebenfalls ab 2023 sollen Gewässerrandstreifen auf fünf Metern ganzjährig begrünt pestizid- und düngerfrei sein. Darüber hinaus haben wir Vereinbarungen zum Ausbau des Ökolandbaus, zur Förderung der Weidetierhaltung, zur Pestizidreduktionstrategie, zur Verpachtung landeseigener Fläche nach ökologischen Kriterien, zu insektenfreundlicheren urbanen Räumen und zum Ausbau der Insektenforschung, sowie des Blühangebotes getroffen. Für den Pestizid- und (Mineral-) Düngerverzicht in Schutzgebieten und auf Gewässerrandstreifen ist ein finanzieller Ausgleich für betroffene landwirtschaftliche Betriebe vorgesehen. Durch die finanzielle Kompensation der Bewirtschaftungserschwernisse wird der Zielkonflikt zwischen Landwirtschaft und Naturschutz zur Zielharmonie. Dass eine so weitreichende Einigung möglich war, zeigt klar den Willen der konventionellen Landnutzer*innen Natur- und Insektenschutz zu praktizieren und andererseits die Empathie des Naturschutzes für die wirtschaftlichen Zwänge der Landwirtschaft.
Du bist Agrarreferent bei der Aurelia Stiftung, wie schätzt Du das Ergebnis insbesondere für die Bienen ein?
Das Wild- wie Honigbienen von Pestizidreduktion, bzw. Pestizidverzicht in bestimmten Gebieten, sowie von mehr Vielfalt auf den Flächen profitieren, liegt ja auf der Hand. Der Ökolandbau bringt die Biodiversität dorthin wo sie am meisten nötig ist, nämlich in der Fläche. Aber auch am Ackerrand wird das Nahrungsangebot für Bienen erhöht. Nicht zuletzt die Gewässerrandstreifen schaffen eine Art vielfältigen Biotopverbund überall in Brandenburg, der nicht nur das Nahrungsangebot für Bienen verbessert, sondern auch zuverlässig die notwendige Bodenruhe für bodennistende Wildbienen bringt. In Bezug auf die Honigbiene und Imkerei ist klar, dass Artenvielfalt wesentlich zu gesunden Bienenvölkern und stabilen Honigerträgen beiträgt – dieses wirtschaftliche Fundament für Imker*innen wird durch unsere vereinbarten Regelungen verstärkt. Andererseits zeigen die Bienen auch klar auf, dass diese Vereinbarung zwar ein landespolitisch wichtiger Schritt ist, aber noch mehr passieren muss. Auf das Bundespflanzenschutzrecht haben wir aus Brandenburg leider keinen Zugriff, sonst hätte ich gern noch Pestizid-, wenigstens Insektizidanwendungen in blühenden Pflanzenbeständen untersagt. Imkerei als das wohl offenste aller landwirtschaftlichen Produktionssysteme, aber auch die meist sensibleren Wildbienen, bleiben dem Pestizideinsatz im Flugradius von oft über 3.000 ha, außerhalb von Schutzgebieten und ökologisch bewirtschafteter Fläche, nach wie vor ausgeliefert.
Der Presse ist zu entnehmen, dass in anderen Bundesländern ähnliche Volksinitiativen und Dialogverfahren gelaufen sind. Wo sind aus Deiner Sicht die größten Unterscheide? Und wo sticht Brandenburg gegebenenfalls sogar hervor?
In anderen Ländern wurden die Dialogprozesse bereits begonnen bevor die Initiativen offiziell gestartet wurden oder zu Ende gingen. In Brandenburg gab es zwei erfolgreiche Volksinitiativen die anschließend zusammenfanden. Die landesrechtlichen Handlungsspielräume sind natürlich ähnlich, sodass die meisten Länderinitiativen u.a. auf Änderungen in Landesnaturschutz- und Wassergesetzen abzielten, sowie dem Ausbau des Ökolandbaus. Nirgends außer in Brandenburg wurde ein echtes Pestizidverbot in Naturschutz- und FFH-Gebieten erreicht. In anderen Ländern bezieht sich dieses nur auf Grünland, wo im Gegensatz zum Ackerbau nur ein geringer Teil des Pestizideinsatzes stattfindet, oder die „intensive landwirtschaftliche Flächennutzung“ ist gleich ganz ausgenommen. Auch unsere Vereinbarung zu Gewässerrandstreifen ist in ihrer Klarheit und letztlich ihrer Sichtbarkeit besonders. Andere Länder staffeln z.B. nach Gewässerart und Randstreifenbreite die mögliche ackerbauliche Nutzung. Bei uns ist klar, dass jedes Gewässer mindestens durch einen 5 Meter begrünten Randstreifen geschützt wird. Darüber hinaus gelten natürlich weitere Gewässerabstände aus den Anwendungsbestimmungen von Pestiziden oder Auflagen der Düngegesetzgebung. Zum Ausbau des Ökolandbaus sind die Voraussetzungen und Ziele in den Ländern unterschiedlich. Mit dem Ziel von mindestens 20 Prozent bis 2030, von konventionellen Landnutzer*innen mitgetragen, haben wir ein realistisches Ziel mit welchem der Markt ohne weiteres mitwachsen kann.
Zum Abschluss noch eine Frage mit Blick in die Zukunft. Wenn Du 10 Jahre vorspulen könntest, was ist dann bzgl. des Insektenschutzes und der Artenvielfalt in Brandenburg sichtbar, ggf. hörbar, geworden?
Das hängt von weit mehr als der Landespolitik ab, insbesondere von der Europäischen Agrarförderpolitik welche in 2027 dann hoffentlich richtig neugefasst wird. Eine europäische GAP mit Brandenburger Ausgestaltung, die endlich Vielfalt statt Einfalt fördert, ermöglicht es konventionellen Bäuerinnen und Bauern Frieden mit dem Unkraut zu schließen und Biodiversität in die Fläche zu bringen ohne wirtschaftliche Einbußen. Leguminosen bekommen dabei in der konventionellen Landbewirtschaftung die Bedeutung, die sie im Ökolandbau bereits haben. Von weitem sichtbar auf den Feldern sind in 10 Jahren noch mehr Kornblumen und Mohn in Getreidefeldern und beim Eintauchen in diese erfreuen wir uns an Kamille, Rittersporn, Wicke, Storchschnabel, Lämmersalat, Ackerfrauenmantel etc. Im Grünland sehen wir mehr Weißklee, Hornklee, echtes Labkraut, Löwenzahn und Magerwiesen-Margeriten. Bezeichnend für die Artenvielfalt hören wir in 10 Jahren nicht nur Erd- und Wiesenhummeln brummen, sondern auch Baumhummeln oder sogar die in Brandenburg verschollene Mooshummel.
Vielen Dank für das Interview!