Offener Brief an alle Brandenburger Bio-Bäuerinnen und -Bauern (FÖL)

09
Dez
2015

Die Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin Brandenburg wendet sich an alle Brandenburger Biobäuerinnen und -bauern, das Volksbegehren gegen Massentierhaltung in Brandenburg zu unterstützen.

Poster-A4-VolkebegehrenLiebe Bio-Bäuerinnen, liebe Bio-Bauern, mit diesem Schreiben möchte ich Sie / Euch über das Volksbegehren gegen Massentierhaltung informieren und zugleich die Arbeit der FÖL als verbandsübergreifende Kommunikationsplattform und Dachorganisation der Bio-Branche in Berlin-Brandenburg vorstellen.

Zum aktuellen Volksbegehren:
Vorausgegangen war im November 2013 die Gründung des „Aktionsbündnisses Agrarwende Berlin-Brandenburg“, ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus 34 Initiativen und Organisationen, die für eine andere, gemeinwohlorientierte und nachhaltigere Landwirtschaft eintreten. Auslöser für diesen Schritt war der Anstieg des Intensivitätsniveaus in der konventionellen Landwirtschaft mit all seinen negativen Auswirkungen auf Boden, Wasser, Artenschutz bis hin zur Wettbewerbsverzerrung für die hiesige Biolandwirtschaft. Hinzu kam der klare Trend zur Industrialisierung in der Tierhaltung (flächenunabhängig v.a. bei Schwein und Geflügel), der in der Genehmigung von Hassleben im Juni 2013 gipfelte und das Fass zum Überlaufen brachte. Diese Entwicklung war gepaart von einer zuweilen arroganten Art und Weise, wie diese Probleme in Politik und Verwaltung behandelt wurden.

Insbesondere bei Schwein und Geflügel beschleunigen v.a. niedersächsische und niederländische Geflügelbarone und Schweinemäster den scheinbar „unaufhaltsamen Trend““ zu immer größeren Beständen. Daheim dürfen sie nicht mehr, denn die Nitratwerte im Trinkwasser überschreiten dort die gesetzlich erlaubten Werte von 50 mg / l. Oder sie trauen sich nicht mehr, weil der Widerstandes in der Bevölkerung wächst. Da bietet sich das dünn besiedelte Brandenburg an, zumal die hiesige Politik sie auch noch alle willkommen heißt!

Die weitere Geschichte haben Sie vermutlich mitbekommen: Im März 2014 starteten wir die „Volksinitiative gegen Massentierhaltung“. Nach deren Erfolg gab es eine erfreulich sachliche Diskussion im Agrarausschuss. Letztlich setzte sich aber die SPD gegenüber dem kleineren Koalitionspartner durch und lehnte unsere Forderungen in Bausch und Bogen ab, lediglich die Prüfung eines ehrenamtlichen (!) Tierschutzbeauftragten wollte man uns zugestehen. Hierauf entschieden wir uns nach intensiver Diskussion, ins Volksbegehren zu gehen und die Politik auf diesem Wege zu zwingen, sich erneut und ernsthaft mit unseren Forderungen auseinanderzusetzen.

Hierzu ein paar Anmerkungen, wie wir unsere Forderungen verstehen und begründen:

  • Staatliche Förderung nur noch für artgerechte Haltungssysteme
    Dies betrifft den Verzicht auf die Basisförderung bei AFP, weil es sich hier im Kern um einen Mitnahmeeffekt für jegliche Form der Modernisierung handelt. Wir wollen nur noch Haltungssysteme fördern, die besonders artgerecht sind und es den Betrieben auch ermöglichen, zu einem späteren Zeitpunkt in ein Tierwohl-Label oder sogar in den Ökolandbau zu wechseln. Bisher war dies allzu oft ein Umstellungshindernis. Diese Forderung ist zumindest bereits per Presseerklärung vom 7.9. akzeptiert, ein klarer Erfolg, zumal diese Forderung vorher ja noch „des Teufels“ war . . .
  • Verbot von nicht kurativen Eingriffen (Kupieren von Ferkelschwänzen oder Geflügelschnäbeln)
    Dieses Verbot gibt es europaweit schon. Es wird aber durch Ausnahmegenehmigungen flächendeckend unterlaufen bzw. geduldet. Hier gestehen wir durchaus zu, dass gerade bei Schwein und Pute erheblicher Forschungs- und Fortbildungsbedarf besteht, zumal diese Frage in den letzten Jahren nicht ernsthaft beforscht wurde. Deswegen gestehen wir der Landesregierung bei Schwein und Mastgeflügel eine Übergangsfrist bis 2018 zu. Entscheidend ist ein glaubwürdiger Einstieg in den Ausstieg. Unser Vorschlag: Ein Landesaktionsplan Tierwohl, in dessen Rahmen für jede Tierart repräsentative (Größe, Stallsystem, Management usw.) Demonstrationsbetriebe eingerichtet werden. Sie sollen Haltungssysteme und Managementverfahren erproben, wissenschaftlich begleiten und den Erfahrungsaustausch von Landwirt zu Landwirt fördern. Ziel muss es sein, so schnell wie möglich allgemeingültige Empfehlungen ableiten zu können, wie man auf kurative Eingriffe verzichten kann, ohne die Tiere der Gefahr von Kannibalismus auszusetzen.
  • Schaffung eines Verbandsklagerechts für anerkannte Tierschutzverbände
    Der im Grundgesetz verankerte Tierschutz muss einklagbar sein. Nicht mehr, nicht weniger. Besonders pikant: Die Einführung des Verbandsklagerechtes war 2013 Gegenstand eines Antrages der SPD-Bundestagsfraktion und fand sogar Eingang in das letzte Bundestagswahlprogramm der SPD. Unsere Ausarbeitungen hierzu decken sich praktisch mit dem SPD-Antrag! Bei dieser Frage merken wir aktuell den größten Widerstand, der u.E. aber auszuräumen ist.
  • Berufung eines Tierschutzbeauftragten
    Hier hat man uns zugestanden, die Berufung eines ehrenamtlichen Tierschutzbeauftragten „prüfen“ zu wollen. Mit den zuständigen Behördenvertretern sind wir uns hingegen längst einig, dass es hierfür einer hauptamtlichen Kraft bedarf, die zudem über entsprechende personelle Ressourcen verfügt.

Für die bessere Einordnung des Volksbegehrens möchte ich folgendes hinzufügen:

  • Stichwort Massentierhaltung: Ja, der Begriff ist nicht optimal, weil er dazu führen kann, dass sich auch jene Landwirte angegriffen fühlen, um die es hier gar nicht geht. Aber wir sind damit gestartet und mussten den „Kampfbegriff“ der Massentierhaltung beibehalten. Sonst würden wir das Volksbegehren heute „Gegen industrielle Massentierhaltung“ oder „Für mehr Tierwohl und Bäuerlichkeit“ nennen. Andererseits steht der Begriff für die Auswüchse einer flächenungebundenen Tierhaltung, die einer industriellen Logik folgt und mit bäuerlicher Verantwortung wenig gemein hat.
  • Wir wenden uns nicht gegen den einzelnen Landwirt, sondern gegen die Interessen der agrarindustriellen Lobby mit ihren Geschäftsinteressen im vor- und nachgelagerten Bereich. Die Landwirte sollen teure Betriebsmittel einkaufen, ihre Produkte aber immer billiger verkaufen. Diese Abwärtsspirale des „Immer mehr und immer billiger“ kann nicht die Lösung sein. Das müsste eigentlich der letzte kapiert haben. Der aktuelle Schweine- oder Milchpreis ist mein Zeuge!
  • Der einzelne Landwirt muss sich in aller Regel den Kräften des Wettbewerbs beugen. Preis und Standards diktieren jene, die das gesetzlich Zulässige und Skaleneffekte konsequent ausnutzen. Die Landwirte sind in diesem System oft die letzten und schwächsten Glieder – und gerade deswegen wollen wir sie vor den Agrarindustriekonzernen, den industriellen Hühnerbaronen und Schweinmästern schützen, die im Zweifelsfall mehr Kohle und weniger Skrupel haben!
  • Uns geht es um einen systematischen Kurswechsel in der Agrarpolitik und um Preisehrlichkeit. Die aktuelle Produktion ist nur „preiswert“, weil die negativen externen Effekte kein Preisschild haben (Tierleid, Überdüngung, Bodenverdichtung, Artensterben, Ausbeutung der Phosphatvorkommen, Klimaschäden, Anreicherung von Nitrat im Grundwasser etc.). Hinzu kommen überzogene bzw. überholte Anreizsysteme (Agrogas, Bevorzugung des Ackerbaus über Direktzahlungen etc.). Genug Geld für eine nachhaltige Landwirtschaft ist da, man muss nur konsequent dorthin umschichten, wo es wirklich gebraucht wird (KTG Agrar oder die Bördebauern brauchen keine Direktzahlungen!).
  • Der Verbraucher oder der „Markt“ sind überfordert. 80 % der Bürger bekunden ihre Wünsche nach mehr Tierwohl, aber nur 2 % des Umsatzes entfallen auf ausgewiesene Tierwohllabels – ein maximales Marktversagen. Und wenn der Markt auf dem Tierwohl-Auge blind ist, muss der Staat  dem Markt beim Umbau helfen. Z.B. indem er nach dem Vorbild der Eierkennzeichnung eine staatlich kontrollierte Kennzeichnung für Fleisch und Wurst einführt und aktiv bewirbt.
  • Auch die Wissenschaft spricht für uns. So formuliert der wissenschaftliche Beirat Agrarpolitik (WBA) der Bundesregierung klar und deutlich: eine andere, tierfreundlichere und artgerechtere Tierhaltung ist nicht nur notwendig, sondern auch machbar und finanzierbar (!). Es ist also nicht nur Volkes Wunsch, sondern auch von der agrarökonomischen Expertise dieses Landes gedeckt.

Fazit: Das Volksbegehren verstehen wir als Aufruf für den Berufsstand, sich der Tierwohl-Diskussion zu stellen. Das Aktionsbündnis Agrarwende Berlin-Brandenburg wird heute von 50 Organisationen getragen, von Anbauverbänden über lokale Bürgerinitiativen bis hin zu Umweltverbänden wie BUND, NABU usw. Wir sind uns nicht immer einig, aber wir versuchen, eine gemeinsame Sprache zu finden und gemeinsame Ziele zu formulieren. Wir wenden uns nicht  gegen die Bauernschaft, sondern verstehen uns als Bündnispartner, um gemeinsam um Strategie und geeignete Instrumente zu streiten. Und es scheint, als könnten wir erfolgreich sein: zur Halbzeit im Oktober hatten sich schon mehr als 40.000 Menschen an dem Volksbegehren beteiligt – und das keineswegs nur Stadtmenschen!

In diesem Sinne würde es mich freuen, wenn wir mit Ihrer / Eurer Unterstützung für das Volksbegehren rechnen können. Am besten direkt beim Amt unterschreiben oder unter www.volksbegehren-massentierhaltung.de frühzeitig vor Ende der Eintragungsfrist die Briefwahlunterlagen beantragen. Dort kann man sich auch mit einem Statement und Foto positionieren! Wir freuen uns auf rege Beteiligung.

Wer uns darüber hinaus unterstützen will: 80.000 Stimmen bekommen wir nur mit einer landesweiten und guten Kampagne. Und die kostet Geld. Ein kurzer Blick auf die Organisationen im Aktionsbündnis reicht sicher aus, um die finanziellen Möglichkeiten im Aktionsbündnis richtig einzuschätzen. Deshalb bitte ich Sie / Euch um Spenden für das Volksbegehren. Wir sind dankbar für jede Unterstützung. Spenden am einfachsten hier: www.betterplace.org/de/projects/33200.

Und was alle tun können: bei Mitarbeitern, Nachbarn oder Bekannten für das Volksbegehren werben! Sicher bleiben auch diesem Schreiben viele Fragen zum Volksbegehren offen. Ich freue mich, mit Euch / Ihnen darüber ins Gespräch zu kommen.

Abschließend darf ich es als Gründer der FÖL nicht unterlassen, für die Arbeit der FÖL zu werben und Sie/Euch alle herzlich einzuladen, sich an unserem Netzwerk zu beteiligen und davon zu profitieren. Hierzu empfehle ich als Abendlektüre das beiliegende Heftchen „15 Jahre FÖL“. Unsere Mitgliedsbeiträge halten wir bewusst niedrig. Wir vertrauen darauf, dass sich über kurz oder lang möglichst viele Betriebe beteiligen, die von unserer Arbeit direkt wie indirekt profitieren.

So bleibt mir nur noch, Ihnen und Euch besinnliche Advents- und Weihnachtstage und einen guten Start ins neue Jahr zu wünschen.

Ihr / Euer Michael Wimmer

Michael Wimmer, Geschäftsführer der FÖL e.V. und Sprecher des Aktionsbündnisses Agrarwende Berlin-Brandenburg

Kontakt

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Tel.: 030 284824-40
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